Transpersonale Prozessarbeit ist eine wirkungsvolle Methode seelische Prozesse zu begleiten. Sie hat sich auf der Grundlage der Transpersonalen Psychologie entwickelt und integriert damit psychologische und spirituelle Aspekte.
Die Geschichte der Transpersonalen Psychologie
Schon vor ca. 30 Jahren hat sich die Transpersonale Psychologie als ein Zweig der Humanistischen Psychologie entwickelt. Diese wiederum ist in den 60iger Jahren als dritte große Kraft in der Psychologie neben der Analyse und dem Behaviorismus hervorgegangen.
Während sich die analytische Psychologie vorwiegend mit den kranken und neurotischen Anteilen der Menschen befasste und zu diesem Zweck in erster Linie die Kindheit der Patienten analysierte, erschien dieses Konzept der Humanistischen Bewegung als zu begrenzt. Folglich richtete sie ihren Fokus stärker auf das Potential der Menschen als auf deren Defizite. Das Grundanliegen der Humanistischen Psychologie bestand darin, den Menschen in seinem ganzen Potential zu sehen und zu fördern. Seelische Krankheiten wurden aus dieser Perspektive auch als Krise im Übergang zum nächsten Entwicklungsstadium verstanden.
Folgerichtig entstanden neue Vorgehensweisen: Man suchte nicht mehr ausschließlich in der Kindheit nach Traumata, sondern erkannte, dass das Entwicklungspotential eines Menschen in der Gegenwart liegt. "Hier und Jetzt" und das augenblickliche Erleben in allen Facetten wurden zum Brennpunkt der Therapie: Körperempfindungen und Körperausdruck, Gefühle, Phantasien, Visualisierungen und das Potential menschlicher Begegnung wurden in verschiedensten Übungen aufgegriffen. Die Menschen lagen nicht mehr auf der Couch, sondern saßen aufrecht der/m Therapeutin/en gegenüber und machten Begegnungs- und Körperübungen aller Art.
Als sich die Psychologie dahin gehend entwickelte, den Fokus auf das Potential der Menschen zu legen, führte das schon bald dazu, auch das spirituelle Potenzial ernst zu nehmen und in die Therapie mit einzubeziehen. Spirituelle Fragen, die in der Psychotherapie lange Zeit vermieden wurden und manchmal sogar verpönt waren, durften wieder gestellt werden: Gibt es ein unbedingtes Glück jenseits vom menschlichen Auf und Ab der Gefühle? Gibt es ein Erfülltsein unabhängig von Bedürfniserfüllung? Gibt es einen tieferen Sinn als zu funktionieren oder reich und erfolgreich zu sein? Wer sind wir jenseits alltäglicher Identitätsmerkmale, Rollen und inneren Selbstbildern? Und noch viele andere Fragen.
Folglich entwickelte sich ein "neuer" Zweig in der Psychologie, der sich insbesondere dem spirituellen Potential des Menschen widmete, die Transpersonale Psychologie. Sie war die natürliche Weiterentwicklung der Humanistischen Psychologie. Weiterentwicklung bedeutete in diesem Zusammenhang nicht, dass alte Sichtweisen als falsch betrachtet und abgelöst wurden, sondern dass sich alte Sichtweisen als zu begrenzt entpuppten und in neue, erweiterte Sichtweisen integriert wurden. So wurden in der Transpersonalen Psychologie viele traditionelle und bewährte Sichtweisen der Analyse oder der Humanistischen Psychologie übernommen, aber auch erweitert und um die spirituelle Dimension ergänzt.
Genauso wurden Sichtweisen aus vielen spirituellen Traditionen, insbesondere der östlichen Weisheitslehren, in die Transpersonale Psychologie integriert, allerdings ohne die traditionellen oder kulturell bedingten Aspekte der Lehren zu übernehmen. Volksglaube, Tradition und rituelle Formen können die spirituelle Dimension der Lehren verschleiern und verzerren, manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Aus diesem Grund hatte die Transpersonale Psychologie immer das Anliegen, spirituelle Lehren von äußerer Form und von Volksglauben zu befreien und sie mit einem wachen, aufgeklärten Geist zu betrachten, um die spirituelle Essenz darin wieder zugänglich zu machen. Sie versteht sich daher als Teil der "Philosophia perennis", der ewigen Philosophie.
Betrachten wir die Geschichte der Transpersonalen Psychologie, können wir daraus leicht ihre Zielsetzung ableiten: Auf einen einfachen Nenner gebracht will sie die Entwicklung zum ganzen Menschen fördern und legt dabei einen besonderen Fokus auf seine spirituelle Entfaltung.
Strömungen der Transpersonalen Psychologie
Wenn auch die grundlegenden Ziele der Transpersonalen Psychologie einheitlich sind, hat sie sich dennoch in verschiedene Richtungen und Schulen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen aufgefächert. Um uns in der Vielfalt der Schulen zu orientieren, ist es sinnvoll, zwei grundlegende Strömungen der Transpersonalen Psychologie zu unterscheiden: Tranceinduzierende und bewusstheitsorientierte Methoden:
Tranceinduzierende Methoden
Das Grundprinzip ist hier, mit Hilfe von tranceinduzierenden Techniken den Menschen direkt in einen veränderten Bewusstseinszustand zu versetzen, in dem die spirituelle Dimension des Seins - unsere Essenz oder wahre Natur - erfahrbar wird. Möglicherweise machen wir dadurch die Erfahrung von grenzenlosem Raum oder absolutes Vertrauen oder tiefe geistige Ruhe. Holotropes Atmen von Stanislav Grof, psychotherapeutische Arbeit mit Drogen, Trommel oder Trancetanz, oder eine sanftere Variante, die Kreistänze, sind typische Beispiele für tranceinduzierende Methoden. Durch diese Vorgehensweisen kann oft sehr direkt ein Zugang zu Essenz geschaffen werden. Der Nachteil ist, dass die Integration der spirituellen Erlebnisse in die Gesamtpersönlichkeit oft schwer fällt. Daher können sich nach intensiven essentiellen Erfahrungen auch große Löcher in der Seele auftun, vergleichbar mit einer depressiven Verstimmung nach einer Drogeneinnahme.
Bewusstheitsorientierte Methoden
Dagegen arbeiten die bewusstheitsorientierten Methoden mit achtsamen, den Geist erforschenden Übungen, die uns in einer kontinuierlichen Weise reifen lassen: Auf diese Weise werden sowohl innere Schattenanteile integriert, als auch ein Bewusstsein über unser essentielles Potential geschaffen. Schließlich entdecken wir das Wesen und die Aspekte von Essenz und erfahren die innerste Natur unseres Seins. A.H. Almaas mit dem Diamond Approach, Stephen Wolinski mit seiner Quantenpsycholgie und Roberto Assagioli mit der Psychosynthese sind typische Vertreter dieser Richtung. Diese Vorgehensweisen sind schrittweise und systematisch und erfordern daher manchmal viel Geduld. Sie führen jedoch zu einer Integration der Gesamtpersönlichkeit und fördern außerdem die Selbstkompetenz des Einzelnen, mit seinen seelischen Prozessen umgehen zu lernen. Schließlich lernt die Person auch die zentralen Zugänge zur essentiellen Dimension ihres Seins kennen und gewinnt dadurch die Fähigkeit, die Seinsdimension bewusst aufzusuchen.
Diese Ziele unterstützt auch die Transpersonale Prozessarbeit. Sie ist daher den bewusstheitsorientierten Methoden der Transpersonalen Psychologie zuzurechnen.
Transpersonale Psychologie und Meditation
Diese beiden grundlegenden Strömungen der Transpersonalen Psychologie finden sich auch in der traditionellen Meditation wieder: Alle Meditationsmethoden, unabhängig von Kultur und spiritueller Tradition, lassen sich in 2 Gruppen zusammenfassen: Objektmeditationen und Meditationen des offenen Gewahrseins.
Bei den Objektmeditationen konzentriert sich der oder die Meditierende auf ein bestimmtes Objekt, wie den Atem, ein Wort (Mantra) oder ein Bild. Diese Vorgehensweise ist tranceinduzierend, da der Geist mit der Zeit alles andere ausblendet und ruhig wird. Ein veränderter Bewusstseinszustand tritt ein. Bei den Meditationen mit offenem Gewahrsein dagegen bleibt der Fokus der Aufmerksamkeit weit, man lässt alles auftauchen und wieder vergehen. Die buddhistische Vipassana-Tradition ist dafür ein typisches Beispiel. Durch diese Vorgehensweise fördert man das Gegenwärtigsein im Auf und Ab der Erscheinungen. Zusätzlich beginnt man die Beschaffenheit des Geistes mit Achtsamkeit zu untersuchen. Auf diese Weise entsteht eine sich erweiternde Bewusstheit, bis wir unsere innerste Natur erkennen.
Bei näherer Betrachtung sehen wir also, wie sich die beiden Grundströmungen der Transpersonalen Psychologie auch in den wesentlichen Meditationswegen widerspiegeln. Allerdings unterscheidet sich die Methodik oft sehr: Während bei der Meditation das stille, in sich gekehrte Sitzen die zentrale Methode ist, verwendet die Transpersonale Psychologie neben der Meditation verschiedenste achtsame Übungen, wie innere Arbeit mithilfe von Fragen, Begegnung, Gespräch, Körper und Natur.
Diese äußeren Merkmale sind nicht die einzigen Unterschiede zwischen einem klassischen Meditationsweg und der Transpersonalen Psychologie. Es gibt noch einen wesentlichen Unterschied: Meditation legt seinen Fokus auf das spirituelle Wachstum des Menschen, also das Erkennen und Entfalten der essentiellen Dimension, wogegen Transpersonale Psychologie stärker eine Gesamtintegration des Menschen fördert.
Das bewirkt im konkreten Vorgehen einen großen Unterschied. Während wir in der Meditation damit konfrontiert sind, mit allen persönlichen Bedürfnisse und Vorlieben innezuhalten und sie letztlich loszulassen, werden wir in der Transpersonalen Prozessarbeit zunächst unterstützt, diese Bedürfnisse und Vorlieben wahrzunehmen und als natürliche Impulse zu erfahren. Dadurch können wir lernen, auf eine gesunde Weise zu unserer Gesamtheit als Mensch zu stehen und für uns in der Welt einzutreten. Erst dann wird der Einzelne darin unterstützt, die Bedürftigkeit tiefer zu erforschen, bis der darin liegende Mangel als Tor zur essenziellen Dimension erfahren werden kann.
Auf diese Weise wird ein gesundes "In-der-Welt-sein" und gleichzeitig eine Öffnung für die essentielle Dimension gefördert. Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass Bedürfnisse und Vorlieben des Ich nicht ausgegrenzt und verdrängt werden müssen, sondern als wertvolle Aspekte erfahren werden können: wir können dadurch unseren Platz in der Welt besser einnehmen und entdecken gleichzeitig einen Zugang zur spirituellen Dimension.
Die Transpersonale Dimension
Doch was ist mit dem Ausdruck "transpersonale oder spirituelle Dimension" gemeint? Was ist die Essenz unseres Seins jenseits unserer üblichen Rollen, die wir im Leben bekleiden und auch jenseits unserer üblichen Vorstellungen darüber, wer wir sind? "Wer bin ich?" ist die große spirituelle Frage.
Zunächst einmal weist das Wort "transpersonal" auf eine Dimension hin, die über unsere persönlichen Ich-Grenzen hinausgeht. Mit Ich-Grenzen sind hier Vorstellungen und Vorliebe gemeint, mit denen wir uns normalerweise identifizieren wie Rollen, Besitz, Bedürfnisse und auch unsere Identifikation mit Selbstbildern und dem Körper. Es gibt also ein Sein jenseits der begrenzten und bedrohten Welt unseres Ichgefühls, nach dem sich Menschen schon immer gesehnt haben und das in mystischen Traditionen erkannt und verwirklicht wurde.
Diese transpersonale Dimension ist keine Idee, keine neue Vorstellung und auch kein Glaube, sondern eine erfahrbare Wirklichkeit, die allem Sein zugrunde liegt, auch wenn sie für die meisten Menschen zunächst durch die Macht ihrer Identifizierungen nicht zugänglich ist. Trotzdem sehnen Menschen sich danach und machen sich getrieben von ihrer Sehnsucht auf die Suche. Im Innersten ahnen sie bereits die Wahrheit dieser Dimension, auch wenn sie sie noch nicht unmittelbar erfahren können.
Wir alle kennen Momente in unserem Leben, in denen die transpersonale Dimension aufscheint. Es sind Momente des Seins, der Stille, des Einverstandenseins. In diesen Momenten wird der Geist ruhig und klar. Vergleichbar mit der Oberfläche eines Sees: wenn kein Wind bläst, wird die Oberfläche ruhig, klar und transparent. Wir sehen den Grund.
Meist bleiben wir nicht lange genug bei dieser Erfahrung, damit sie sich vertiefen kann. Aber wenn es uns gelingt, tiefer in diese Erfahrung hineinzugehen und unsere Aufmerksamkeit immer feiner werden zu lassen, werden wir beobachten, wie solch ein stiller Moment unser gesamtes Erleben in einer charakteristischen Weise verändert. Wesentliche Aspekte der Seinserfahrung sind:
Präsenz: Die Aufmerksamkeit wird unmittelbar. Das gegenwärtige Sein wird als dicht, intensiv und zeitlos erfahren.
Raum: Unser Körper entspannt sich und wir erfahren eine Ausdehnung, die grenzenlos werden kann.
Friede: Unser Geist lässt alles Wollen und Nicht-Wollen los und wird vollkommen offen und annehmend. Wir spüren einen inneren Frieden und ein Einverstandensein.
Freiheit: Gedanken werden weniger und schweigen schließlich. Der Geist wird klar und durchlässig. Wir fühlen uns leicht und frei.
Verbundenheit: Wir sind vollständig in Kontakt mit allem, was ist, und Vorstellungen von Getrenntheit fehlen. Wir fühlen uns verbunden, angekommen, zu Hause.
Kraft: Wir spüren die Stille als Kraft oder Macht, die hinter allen Dingen wirkt, die in allen Dingen fließt und alle Erscheinungen hervorbringt. Im Kontakt mit dieser Kraft fühlen wir uns demütig, behütet und voller Vertrauen. Diese und ähnliche Erfahrungen sind typisch, wenn wir die transpersonale Dimension berühren. Dabei ist das Wesen dieser Erfahrungen nicht etwa, angenehme Gefühle zu haben wie Friede oder Leichtigkeit oder Freiheit. Diese sind lediglich Begleiterscheinungen, wenn wir unsere essentielle Natur berühren. Die Essenz dieser Erfahrungen ist das Bewusstsein - das reine Sein - jenseits aller Erfahrungen und Erscheinungen. Dieses Sein ist vollkommen offen, durchlässig und annehmend, alles aufnehmend und alles hervorbringend, mit allem verbunden und doch in sich vollkommen unberührt und still.
Grundhaltungen der Transpersonalen Prozessarbeit
Aus der Einsicht in die transpersonale Dimension unseres Seins ergeben sich folgerichtig verschiedene Grundhaltungen für ein spirituelles Leben, das im Einklang mit unserer innersten Natur steht. Diese Grundhaltungen sind auch die Grundlage für die Sicht- und Vorgehensweise der Transpersonalen Prozessarbeit. Erst im Einklang mit diesen Grundhaltungen wird sie zu einer wirkungsvollen und im eigentlichen Sinne transpersonalen Methode. Im Folgenden werden diese kurz in ihrer Relevanz für die Begleitung von Menschen beschrieben:
Präsenz: Das Sein in den Mittelpunkt stellen
Das Grundlegendste in der Begleitung ist, dass sich der oder die Begleiter/in ans Sein - an die Kraft der Präsenz - anbindet und diese verkörpert. Sein ist grundlegender als Tun und als jede Technik und erst im Zustand des Angebundenseins sind wir als BegleiterInnen kreativ. Erst wenn wir selbst das Sein verkörpern, können wir das Sein der anderen Person sehen und bestätigen. Des Weiteren sehen wir auch den gegenwärtigen Augenblick als Potential für die persönliche und transpersonale Entfaltung und unterstützen somit die Person mit gezielten Fragen, sich der gegenwärtigen seelischen Erfahrung zuzuwenden und diese tiefer zu erforschen.
Annahme: Eine Perspektive jenseits von richtig und falsch einnehmen
Bewusstsein nimmt alles an. Es kennt keine Wertung und keine Verurteilung. Somit orientieren wir uns in der transpersonalen Begleitung an der bedingungslosen Annahme, auch um der anderen Person zu vermitteln, dass sie in ihrer menschlichen Unvollkommenheit angenommen ist. Der innere Richter und alle inneren Bewertungen werden auf diese Weise mit der Zeit entmachtet und durch Bewusstheit ersetzt. Wenn einschränkende Urteile an Kraft verlieren, kann die Person mehr und mehr ihrem Wesen gemäß leben.
Offenheit: Vertrauen in das Ganze und in den Prozess
Bewusstsein ist vollkommen offen und frei von Vorstellungen. Wenn wir diese Offenheit einnehmen, ist die Folge ein unbedingtes Vertrauen. In der Begleitung bedeutet dies, wir verkörpern diese Offenheit und dieses Vertrauen in den seelischen Prozess der anderen Person. Wir unterstützen sie, ihren seelischen Fluss ganz zuzulassen und zu folgen, in dem Vertrauen, dass der Seelenfluss selbst seinen Weg zur Entfaltung kennt. Das setzt voraus, dass alles, was den Fluss behindert oder aufstaut, wie zum Beispiel Vorlieben oder begrenzende Selbstbilder, bewusst gemacht und in seiner einengenden Wirkung erkannt werden. Vertrauen in den Prozess bedeutet auch, dass sich widersprechende Pole (und auch scheinbar destruktive Kräfte) als wichtige Kräfte fürs Ganze anerkannt und gefördert werden. Auf diese Weise führt uns das Vertrauen in den Prozess zu immer größerer Offenheit, bis wir das Ganze umfassen können.
Einssein: Sich der Verbundenheit allen Seins bewusst zu sein und das Mitgefühl
Sein ist umfassend und verbunden. Wenn wir tief in die Stille eintauchen, enden alle trennenden Vorstellungen und wir erkennen, dass das Viele in dem EINEN wurzelt und niemals getrennt existieren kann.
Die natürliche Folge ist eine Verbundenheit, eine große Wärme und ein Mitgefühl, das auch Grundlage der Begleitung ist. Hier gibt es kein oben oder unten, kein mehr oder weniger Wert, kein richtig und falsch. Wir alle, Begleiter und Begleitete, sind gleichwertige Teile des EINEN Seins. Diese Sicht lässt eine Kultur der Gewaltlosigkeit entstehen. Sich mit Interesse für das Gegenüber zu öffnen und zuzuhören erscheint uns dabei wesentlicher als eigene Sichtweisen zu vermitteln, sich darzustellen oder zu verteidigen.
Wahrheitsliebe: Sich am Prozess der Erkenntnis orientieren
Die transpersonale Dimension kann nur durch unmittelbares Schauen erkannt und verwirklicht werden, frei von Vorstellungen, Filter und Wissen. Daher unterstützen wir den Prozess der Erkenntnis, der die Grundlage für persönliche Reife und spirituelle Verwirklichung ist. Offensein und die Suche nach der größeren Wahrheit ist der Motor für zunehmende Erkenntnis. Fragen erscheinen uns daher wichtiger als Antworten, Neugier wichtiger als Wissen und das Unfertige wichtiger als das Fertige. Achtsames Erforschen unserer Seele ist das Grundhandwerkszeug, das gefördert und zunehmend verfeinert wird.
Die Seele und die Praxis des achtsamen Erforschens
Die fünf Grundhaltungen der Transpersonalen Prozessarbeit stehen im Einklang mit unserer essentiellen Natur und unterstützen somit den Reifungsprozess der Seele, der in dieser Arbeit im Mittelpunkt steht. Mit Seele wird hier das gesamte Spektrum an Erfahrungsmöglichkeiten bezeichnet. Seele ist der Grundstoff des Bewusstseins, der sich in jede Erfahrung wandeln kann. Wir können Seele gut mit Wasser vergleichen. Wasser ist in seiner Essenz formlos, fließend und kann jede Form annehmen.
Genauso ist auch die Seele formloses Sein, das jede Erfahrung annehmen kann. Von eher groben, unangenehmen, begrenzenden Erfahrungen bis zu den subtilen, unbegrenzten, spirituellen Erfahrungen reicht die Palette. Beides zeigt sich in unserer seelischen Erfahrung. Somit ist die Seele der Ort, in dem Reifung, Entfaltung, Differenzierung und Erkenntnis entsteht.
Aufmerksamer Kontakt nach innen, Interesse für den gegenwärtigen Augenblick, Offenheit, Annahme und eine Liebe zur Wahrheit, zum genauen Hinschauen, sind daher Grundvoraussetzungen für spirituelles Reifen. So hat sich folgerichtig die Praxis des Achtsamen Erforschens als zentrale Vorgehensweise in der Transpersonalen Prozessarbeit entwickelt. Sie ist eine spezielle Praxis der inneren Achtsamkeit, die sich mit Offenheit, Annahme, Interesse und Wahrheitsliebe dem gegenwärtigen Seelenfluss zuwendet.
In der Transpersonalen Prozessarbeit schulen wir gezielt Menschen in der Praxis des Achtsamen Erforschens. Dadurch entwickelt sich mit der Zeit im Einzelnen eine Selbstkompetenz, diese Praxis sowohl mit sich alleine auszuüben oder aber mit Hilfe der Präsenz einer zuhörenden Person.
In der therapeutischen Begleitung von seelischen Prozessen beziehen ProzessarbeiterInnen gezielt auch noch andere Aspekte mit ein, wie das Arbeiten mit Wahrnehmungskanälen, das Umgehen mit Barrieren und das Erkennen von Zugängen (Tore) zu essenzieller Erfahrung.
Wie sich unser Leben verändert
Wenn sich die Seele frei entfalten kann, erfahren wir die dynamische Kraft des Lebens, wie sie sich schöpferisch von Moment zu Moment ausdrückt - immer neu, frisch, unberechenbar und lebendig. Folgen wir dieser augenblicklichen Kraft, findet natürliche Entfaltung statt, denn der Seelenfluss befindet sich in einer kontinuierlichen natürlichen Entwicklung. Durch die Praxis des Erforschens nehmen wir mit dieser Kraft Kontakt auf und lassen die Entwicklung geschehen. Leben erscheint uns jetzt neu, spannend und lebendig - ein großes Abenteuer.
Der Grund für dieses Erleben ist nicht etwa, dass sich unser äußeres Leben grundlegend ändert. Es wird weiterhin Schwierigkeiten und unangenehme Gefühle geben. Schmerz, Krankheit, Verlust und Vergänglichkeit sind ein natürlicher Bestandteil menschlichen Lebens und ändern sich nicht. Aber in unserem Geist kann mit der Zeit eine große Veränderung heranreifen. Wir werden offen und durchlässig für das Leben, so wie es sich zeigt, und lernen gleichzeitig, mit einer grundlegenden Präsenz in Kontakt zu bleiben. Eine Präsenz, die unabhängig ist vom ewigen Wandel, der Leben bedeutet. Eine Präsenz, die im Zeitlosen wurzelt, in unserer essenziellen Natur.
Abschließend kann man sagen, durch die Schulung der Transpersonalen Prozessarbeit fördern wir die Entwicklung der ganzen Person. Schattenanteile werden integriert und wir bekommen eine Einsicht in unser zeitloses transpersonales Potential. Mit der Zeit geschieht eine grundlegende Veränderung in unserem Geist: wir verkörpern immer mehr in allen Aspekten unseres Seins und Handelns die zentralen transpersonalen Grundhaltungen, wie Präsenz, Offenheit und Annahme. Nach und nach wird sich dies in unserem gesamten Leben und in unseren Beziehungen widerspiegeln.
Richard Stiegler
Heilpraktiker, Psychotherapie. Seit 1988 als Psychotherapeut, Kursleiter für Transpersonale Prozessarbeit und Meditationslehrer tätig. Seit 2001 Gründung einer eigenen Schule der transpersonalen Psychologie (SEELEundSEIN) und Leitung von Ausbildungskursen. Buchautor.